Algol
Der Teufelsstern
Folgender Text ist aus dem Buch "Eine Geschichte des Universums in 100 Sternen" von Florian Freistetter, erschienen im Hanse-Verlag.
"Algol hat keinen guten Ruf. Der 90 Lichtjahre entfernte Stern, den man auch mit bloßem Auge hell im Sternbild Perseus leuchten sehen kann, hat im Lauf der Zeit viele Namen bekommen. Im antiken Griechenland hieß er Gorgonea Prima, benannt nach den »Gorgonen«, mythologischen Schreckgestalten, denen Schlangen anstelle von Haaren aus dem Kopf wuchsen und die alle zu Stein werden ließen, die sie anschauten. Sein arabischer Name ist ra’s al-ġūl, der »Kopf des Dämons«, und wurde später zu »Algol« verkürzt. Algol wurde »Teufelsstern« genannt oder »Schreckgespenst«, und in der mittelalterlichen Astrologie zählte er zu den Unglückssternen.
Aber was hat den Ruf des Sterns so ruiniert? Warum ist unter all den Sternen am Himmel gerade Algol das Monster? Weil er sich nicht an die Regeln hält! Die anderen Sterne am Himmel leuchten still und beständig vor sich hin. Algol jedoch scheint sich zu verändern, wird heller und dunkler und das in einem Ausmaß, dass es auch ohne technische Hilfsmittel deutlich zu erkennen ist. Im Lauf von nur drei Tagen unterliegt seine Helligkeit so großen Schwankungen, dass er den Menschen vor 2000 Jahren in der Tat schlaflose Nächte bereitet haben dürfte.
Denn damals hatte man ja noch keine detaillierte Vorstellung von dem, was da am Himmel eigentlich passiert. Man kannte die wahre Natur der Sterne nicht. Der Himmel war Teil einer mysteriös-mythischen Vorstellungswelt, und die Vorgänge dort betrachtete man als Botschaften der Götter. Das Studium der Sterne erlaubte den Blick in die Zukunft, zeigte an, wann mit Katastrophen zu rechnen war und wann Krieg, Tod und Verderben über die Menschen kommen würden. Und ein Stern wie Algol, der sich so ganz anders verhält als all die anderen Sterne, der nicht zur Ruhe kommt und mal heller, mal dunkler am Himmel steht: Der muss nicht nur die besondere Aufmerksamkeit der Menschen erregt, sondern sie auch beunruhigt haben.
Heute wissen wir, was es mit Algol auf sich hat. Dort treiben keine Dämonen und Teufel ihr Unwesen. Aber es gibt dort mehr als nur einen Stern. Es handelt sich um ein Dreifachsternsystem, in dem zwei der Sterne eng umeinander kreisen. Der eine sehr groß und hundert Mal heller als unsere Sonne; der andere deutlich leuchtschwächer. Wenn beide Sterne von uns aus gesehen genau nebeneinander stehen, erreicht uns das meiste Licht von Algol. Verdeckt einer der beiden Sterne den anderen, dann nimmt die Gesamthelligkeit ab.
Es handelt sich um einen sogenannten bedeckungsveränderlichen Stern, also einen Stern, dessen Helligkeit nicht aufgrund irgendwelcher in ihm selbst ablaufender Vorgänge schwankt, sondern schlicht deshalb, weil es sich eigentlich um zwei Sterne handelt, die einander abwechselnd verdecken. Dieses Phänomen lässt sich im- mer wieder beobachten, und Algol ist zum Namensgeber für eine ganze Klasse solcher Himmelskörper geworden: die Algolsterne. Es gibt übrigens sogar konkrete Hinweise darauf, dass sein seltsames Verhalten die Menschen schon vor über 3000 Jahren erschreckt hat. In einem 1943 entdeckten ägyptischen Papyrus hat man einen
»Tagewählkalender« gefunden, also eine Art Zusammenstellung guter und schlechter Tage. Eine genaue Untersuchung dieses Kalenders hat ergeben, dass sich Glücks- und Unglückstage mit einer Periode von 2,9 Tagen abwechseln – was ziemlich genau der Periode entspricht, in der Algol seine Helligkeit ändert. Es kann sich hierbei natürlich auch nur um Zufall handeln. Aber der Stern könnte auch tatsächlich schon damals als Taktgeber des Unheils gegolten haben. Und wer seinen schlechten Ruf so lange mit sich herumträgt, wird ihn dann auch nur ganz schwer wieder los."
Florian Freistetter: Eine Geschichte des Universums in 100 Sternen, Hanse Verlag